Islay Whisky: Zwischen jahrhundertealter Tradition und Moderne
40 Kilometer lang, 32 Kilometer breit und bei der letzten Zählung 2011 3228 Einwohner: Das sind die nüchternen Fakten zur Insel Islay, dem südlichsten Hebriden-Eiland vor der Westküste Schottlands. Doch der Alltag hier ist alles andere als nüchtern – vielmehr geht es auf der ganzen Insel sehr hochprozentig zu. Nur etwa ein Viertel so groß wie das Saarland bildet sie mit vielen berühmten Islay Whiskys und heute insgesamt neun Brennereien eines der bedeutendsten Whiskyzentren der Welt.
Im Gegensatz zu vielen anderen schottischen Whiskynamen oder -orten wie beispielsweise Uisge Beatha fällt die Aussprache von „Islay“ sehr leicht. Sagen Sie einfach: Ai-la, wenn Sie irgendwo nach einem der Inselwhiskys fragen. So verstehen Sie auch die Inselbewohner, die in ihrem Dialekt aber eher I-le zu ihrer Heimat sagen würden. Seit Generationen kümmern sich diese Menschen praktisch um nichts anderes als das Whiskybrennen. Früher gab es dafür Dutzende Brennereien. 1779 wurde mit Bowmore die erste von ihnen legal. Andere sollten folgen und schon weit vor 1900 entstanden dann die ersten der legendären Single Malt Islay Whiskys.
Heute werden Jahr für Jahr über 20 Millionen Liter Alkohol auf der Insel gebrannt und noch viel mehr Liter nach Jahren der Reifung in Trinkstärke abgefüllt. Mittlerweile sind es überwiegend Single Malts, aber das war in den vergangenen Jahrzehnten nicht immer so. Da genoss der Inselwhisky von Islay zwar schon einen großartigen Ruf, floss jedoch zu mehr als 90 Prozent noch in Blends von Ballantines über Chivas Regal bis Johnnie Walker. In immer mehr Brennereien entstand dabei der Wunsch, selbst zu einer derart großen Marke zu werden. Dafür besann man sich wieder alter Traditionen und der damit verbundenen Königsdisziplin der Whiskyherstellung: dem Single Malt, Whisky aus Basis gemälzter Gerste aus nur einer einzigen Brennerei.
Der Islay Whisky und seine unverkennbaren Markenzeichen: Rauch und Torf
Die Insel Islay wird von einem milden Klima bestimmt. Besonders fruchtbar ist sie im Süden und Westen. Hier liegen auch ihre größten Torfmoore. Sie sind über Jahrtausende aus Schichten von Gras, Heidekräutern und Moosen entstanden. Das verleiht dem Torf einen einzigartigen herben, kräftigen Duft. Dieser entfaltet sich ebenso intensiv im Rauch, wenn Sie gestochenen, getrockneten Torf abbrennen. Genau diese Torffeuer sind das Markenzeichen der Inselwhiskys. Ihre Gerste muss rund 30 Stunden getrocknet oder gedarrt werden, bevor die weiteren Entstehungsschritte eines Whiskys folgen können. Die Brennereien von Islay nutzen dafür nur zum Teil aromatisch neutrale Gas- oder Kohlefeuer. Ardbeg zum Beispiel lässt rund die Hälfte der Zeit Torffeuer brennen, um die Gerste mit Duftstoffen aufzuladen.
Je länger das Getreide diesem Rauch ausgesetzt ist, umso intensiver entwickelt sich später ein erdiges, rauchiges Whiskyaroma inklusive zusätzlicher holziger, würziger oder auch arzneimittelähnlicher Akzente. Mit Angaben in der Einheit ppm (Phenol Parts per Million) finden Sie zu jedem Inselwhisky eine grobe Orientierung, wie viel Rauch- oder Torfintensität Sie in einem Glas erwarten können. Der Torfgehalt der gedarrten Gerste fällt von Brennerei zu Brennerei sehr unterschiedlich aus – zum Beispiel:
- Ardbeg etwa 55 ppm
- Bowmore zwischen 25 und 30 ppm
- Bunnahabhain 35 und mehr ppm
- Caol Ila zwischen 30 und 35 ppm sowie
- Laphroaig mit rund 40 ppm
Dazu kommen weitere Phenole, wann immer Fluss- oder Quellwasser in die Whiskyproduktion einfließt. Auf Islay ist das Wasser meist von weiteren Torfeindrücken durchsetzt.
Im frisch gebrannten New Make bleibt davon am Ende aber über den Daumen gepeilt nur jeweils rund die Hälfte an Duftstoffen übrig. Bei der anschließenden Fassreifung bauen sich im Laufe der Jahre dann noch weitere der erdigen oder rauchigen Aromen ab. Das schmecken Sie direkt, wenn Sie von einer Brennerei wie Laphroaig den 10-jährigen Klassiker mit einem 25 YO des Hauses vergleichen. Strotzt der junge Tropfen noch vor erdigen und medizinischen Geschmacksimpressionen, wirkt der ältere viel moderater und weicher. Doch auch ihm fehlen nicht gänzlich jene Noten eines getorften oder peated Whiskys, wie ihn die meisten sofort mit Islay in Verbindung bringen. Doch so inseltypisch sind diese Eindrücke längst nicht mehr. Manche Brennerei wie Bruichladdich verzichtet für einige Abfüllungen sogar ganz auf den Einfluss der Torffeuer. Hier finden Sie dann ungetorften oder unpeated, eher floralen Islay-Inselwhisky.
Ein kleiner Streifzug durch die Brennereien der Insel Islay und ihre Whiskys
Trotz vieler Gemeinsamkeiten gibt es nicht den einen Islay Inselwhisky. Eher definiert eine ganze Reihe klassischer Malts den Charakter dieser offiziellen schottischen Whiskyregion. Jede Brennerei hat dabei ihre eigene Philosophie oder Signatur entwickelt und so findet sich in der ganzen Bandbreite immer ein passendes Islayoriginal für jeden Geschmack.
Ardbeg
Der Ardbeg-Klassiker Ardbeg 10 Jahre und andere Abfüllungen der über 200 Jahre alten Destillerie gelten unter Whisky-Kennern als die Torfmonster der Insel. Ardbeg bedient dieses Image mittlerweile sogar gezielt mit besonders starken peated Abfüllungen. Mit dem Uigeadail zeigt die Brennerei aber auch ein ganz anderes Gesicht und vereint die Aromanoten alter Sherryfässer mit den urwüchsigen Basics seiner Inselwhiskys. Hier bekommt der ansonsten weitgehend kompromisslose, torfige Islayausdruck der Brennerei ein paar fruchtig-süße Varianten, die sich perfekt eignen, um dem Wesen der Islay Whiskys auf sanften Wegen näher zu kommen.
Ardnahoe
Ardnahoe ist das jüngste Mitglied der Whiskymanufakturen auf Islay. Eine moderne Destillerie mit vielen Schmankerln stand und arbeitete Anfang 2022 längst: inklusive langarmiger Brennblasen für mehr Whiskyaromen oder den einzigen Worm Tubs auf der Insel zur Kühlung des New Brands. Hier kommt Großes auf Sie zu. Ungetorfte, leicht und sehr ordentlich getorfte Single Malts stehen bei Ardnahoe auf dem Programm – das Whiskyangebot der Insel Islay bekommt damit in diesen Zwanzigerjahren abwechslungsreichen Zuwachs.
Bowmore
Mit dem Bowmore 12 Jahre gewinnen Sie einen ersten Eindruck zu dieser Destillerie. Er fällt inseltypisch erdig aus, zeigt aber genauso die neuen Einflüsse mit Lagerung in Sherryfäsern, denen die Brennerei immer häufiger folgt. Über 30 Prozent der Bowmores reifen mittlerweile in diesen fruchtig-süß vollgesaugten Fässern aus Bodegas in Spanien. Bevor sie dort eingefüllt werden, erfahren sie aber überwiegend sehr intensive Bekanntschaft mit Torfrauch. Dadurch vollziehen die Whiskys der Brennerei in der Inselmitte oft einen beeindruckenden Spagat zwischen schottischer Bodenständigkeit und mediterranen Impressionen. Um diese kennenzulernen, haben Sie reichlich Gelegenheiten. Kaum eine zweite der Brennereien auf Islay pflegt eine derart umfangreiche Range an Abfüllungen wie diese.
Bruichladdich
Bei Bruichladdich finden Sie die Individualisten oder auch Whisky-Guerilleros auf Islay. Ihre Whiskyentwicklung orientiert sich eher am Weinbau und seinen Terroirs. Dabei zählt weniger das Age Statement als eine einzigartige regionale Herkunft der Gerste für das Whiskybranding von Bruichladdich. Deswegen bleibt das Angebot dieser Brennerei immer abwechslungsreich und spannend. Jedes Jahr warten besondere, individuelle Abfüllungen aus einzelnen Getreideernten. Ein paar Konstanten und Leitplanken hat diese Destillerie aber dennoch immer im Angebot: zum Beispiel den Classic Laddie von Bruichladdich.
Bunnahabhain
Getorft oder ungetorft wie der Bunnahabhain 12 Jahre - diese Destillerie beherrscht beide Disziplinen perfekt. Hier können Sie sich an die inseltypischen Malts langsam auf weichen Wegen herantasten oder gleich mit herzhaften Torf-Vertretern in die Vollen gehen. Die moderne Signature von Bunnahabhain ist im Wesentlichen ungetorft, mild, mit fruchtigen, aber auch ein paar maritimen oder prickelnden Akzenten. Sie prägt den Stil des Hauses seit 1979. Zuvor wurde hier mehr getorft und daran erinnern heute noch der Bunnahabhain Toitech A Dha und ein paar der regelmäßigen Destillerie-Editionen der Brennerei hoch im Norden von Islay. Ihnen allen fehlt jedoch ebenso wenig die moderne Handschrift der Brennerei. Durch die Lagerung in ausgesuchten Sherryfässern zeigen sie sich so durch die Bank rauchig und trocken wie vollmundig und süß.
Caol Ila
Caol Ila ist die größte Brennerei der Insel. Über 6,5 Millionen Liter Whisky verlassen die Anlage am Sound of Islay Jahr für Jahr. Etwa drei Viertel davon verfeinern Blends wie die von Johnnie Walker. Der Rest wird zu Klassikern wie dem Caol Ila 12 Jahre oder den begehrten, limitierten Caol Ila Distillers Editionen. Das Caol-Ila-Portfolio ist überwiegend getorft, zeichnet sich aber weiter durch ein sehr mildes, oft fruchtiges Aroma aus. Dieses gewinnen die Tropfen des Hauses längst nicht erst bei der Lagerung in alten Sherry- oder Weinfässern. Denn hier betreibt man die höchsten und schlankesten Brennblasen auf der ganzen Insel. Diese werden außerdem nur zu etwa einem Viertel befüllt, wodurch der Alkohol beim Brennen einen besonders langen Weg in den Blasen vor sich hat. Das sorgt von Beginn an für einen angenehmen leichten und fruchtigen frischen Brand, der später umso intensiver in diesen Richtungen reifen kann.
Kilchoman
Bis zur Gründung der Ardnahoe-Brennerei war Kilchoman das Küken unter den Destillerien auf Islay. Nach wie vor geht es hier aber am familiärsten zu. Die Brennerei hat ihr Zuhause auf einem Inselbauernhof, der nebenbei weitergeführt wird. Während im Stall die Kühe muhen, wird nebenan gebrannt – und das nicht zu knapp. So ähnlich, ohne die moderne Technik, sahen früher die vielen kleinen Farmdestillerien auf der Insel aus. Klein ist Kilchoman allerdings längst nicht mehr. Über 200.000 Liter Kilchoman-Whisky verlassen den Hof inzwischen jährlich. Dabei legt man großen Wert auf Regionalität. Zuletzt wurde die ganze Whisky-Range mit einem Fünftel Gerste von der Insel gebrannt. Dieser Anteil soll kontinuierlich wachsen. Mit dem Kilchoman 100% Islay bekommen Sie schon jetzt einen Vorgeschmack auf dieses Ziel. Er ist rauchig, gewinnt aber ebenso viele süße Aromen aus Sherryfässern. Dieser und andere Kilchomans sind durchwegs sehr junge Abfüllungen und bisher alle nur um die fünf oder sechs Jahre gereift. So kommen Sie dem wilden Geschmack eines New Makes hier so nah wie selten sonst.
Lagavulin
Mit dem Lagavulin 16 Jahre entdecken Sie neben der Charakteristik der Lagavulin-Brennerei zugleich einen der berühmtesten Islay Whiskys. Viel Rauch und Torf machen ihn inseltypisch. Durch seine lange Reifezeit gewinnt er aber außerdem eine Milde, die ihn deutlich von den Flaggschiffen anderer Brennereien absetzt. Lagavulin kann aber ebenso jungen und wilden Inselwhisky mit urwüchsigen Islayaromen oder noch etwas elegantere Tropfen in einer Distillers Edition zeigen. Der Torfanteil bewegt sich überall seit Jahren auf moderatem Niveau. Dennoch erreicht ein Lagavulin-Whisky ein überdurchschnittlich intensive Raucharoma durch seine besondere Brennweise. Die Brennblasen sind hier regelmäßig hoch befüllt und mit einer extra langen zweiten Destillation können die Lagavulins ihre kräftigen Noten verstärkt ausprägen. Bei der späteren Reifung geht es dann wieder ganz schnörkellos zu: Bourbonfässer und nur hier oder da einmal ein paar Sherryfässer finden sich in dieser Brennerei. Hier folgt Lagavulin klar den Islaytraditionen.
Laphroaig
Die Inselwhiskys dieser Brennerei werden geliebt oder gehasst, lautet eine Weisheit unter Whiskykennern. Wie dieses Bonmot entstanden ist, zeigt sich allein beim Tasting des populären 10-jährigen Laphroaig-Aushängeschilds. Unverkennbar für diese Destillerie breitet er neben reichlich Torf und Rauch außerdem noch eindringliche Jod-Impressionen aus. Für viele wirken diese kaum noch wie ein Strandspaziergang vor rauer See, sondern wecken eher Gedanken an eine Apotheke oder ein Krankenhaus. Nicht nur dieser Laphroaig gibt sich damit wie eine Urgewalt. Schaut man sich die einzelnen schottischen Whiskyinseln an, verordnet man ihn so eher im kargen, wetterumtosten Norden auf dem Orkney-Archipel als im milden Südwesten der Inselwelten Schottlands. Doch genau hier liegt die Faszination von Laphroaig. Unter diesem Label dürfen Sie durchwegs extreme Islay Whiskys erwarten, die sich jedoch in mancher Abfüllung auch einem Kontrast durch die Lagerung in Sherryfässern nicht verschließen.
Islay Whisky: einzigartig vielschichtig
So macht die Whiskyinsel Islay selbst in der Laphroaig-Brennerei noch viel mehr als Rauch und Torf aus. Sie ist eine kleine, aber feine Whiskywelt für sich und steckt voller ausdrucksstarker, faszinierender Facetten. Geschmacklich reichen diese von mild oder sanft bis kräftig und urig. Mal erscheint Islay dabei wie ein Garten voller süßer Früchte und dann ebenso wie ein Lagerfeuer im Wald oder in den Dünen. Manchmal vereinen sich die Gegensätze in einigen Islay Whiskys auch zu einzigartigen, geheimnisvollen und überraschenden Gesamtbildern. Das macht die Magie dieser Inselwhiskys aus. Hier finden alle ihren persönlichen Whiskygenuss und Momente voller Entspannung in Gedanken an eine einzigartige Whiskyinsel.